
Um 2 Uhr nachts verlässt der erste LKW die Zentrale in Freiburg und beliefert Großkunden. Über die Nacht, den Tag und das gesamte Vertriebsgebiet verteilt, schwärmen insgesamt 70 LKWs aus. Zu ihnen gehört der von Jens Schillinger. Sein Arbeitstag beginnt um 3:31 Uhr, also zu einer Uhrzeit, wenn andere noch schlafen oder gerade zu Bett gehen. Aufgestanden ist Jens um 2:30 Uhr.

Um 4:30 Uhr ist Jens heute auf der Straße. Nieselregen. Normale Kundenmenge, verhältnismäßig wenig Ware. Wegen einer Baustelle an der Ausfahrt Efringen-Kirchen muss Jens einen Umweg fahren. Bei zwei Kunden muss er bis 7 Uhr ausliefern. „Ich mach mir keinen Stress“, erklärt Jens lapidar. „Über die Autobahn zu rasen, das macht mich auch nicht schneller.“ Pünktlich liefert er trotzdem aus. Pro Stopp vergeht mitunter nicht mehr als eine Minute. Seine Ladefläche hat Jens so organisiert und beladen, dass er manchmal nur die Seitentür öffnet, eine Box greift und an der verabredeten Stelle abstellt: Laderampe, Rollband, Tor. Jens liefert, bevor seine Kunden da sind. Deshalb besitzt er bis zu zehn Schlüssel, mit denen er sich Zutritt beim Kunden verschaffen kann. 5:15 Uhr: erste Lieferung. 6:15 Uhr: erster persönlicher Kundenkontakt. Der Rollladen fährt hoch, Jens drückt das Paket dem Kunden in die Hände, weiter geht’s. Auf engen Straßen, in Vierteln mit Mehrfamilienhäusern, in Sackgassen flankiert von Baustellen hat er kaum Platz seinen LKW zu wenden oder die Kurve zu nehmen. Logistikalltag fernab weitläufiger Gewerbegebiete.
Dafür genießt Jens im Sommer die schöne Sicht auf die Schweizer Alpen. Monumentaler Zickzack weißgetupfter Steinriesen, die den Horizont einnehmen. Wenn sein schwarzer LKW über den Berg Richtung Rheinfelden zuckelt, geht zur Sommerzeit just die Sonne auf. Weil Jens stets so früh unterwegs ist, ist in der Novembertristesse heute kein Panorama zu bestaunen. Verschluckt von der Dunkelheit. Ein Praktikant, der Jens auf seiner Tour begleitet hatte, schwärmte einst: „Du fährst dahin, wo andere Urlaub machen“. Und dann geht’s runter nach Rheinfelden, mitten ins Industriegebiet. Rauchende Schlote, graue Zweckbauten, rostige Container. Kontrastprogramm. Einige Kilometer weiter und wer weiß wie viele Stunden später wieder Schwarzwaldidylle: baumumsäumter See, hochaufschießende Berge. Das Schluchsee-Werk bekommt Besuch, allerdings erst, wenn sich die Tour dem Ende neigt. Einige Kunden liegen da noch dazwischen. Die sind eine bunte Mischung: Elektrofachgeschäfte, Installateure auf Baustellen und Pharmaunternehmen. Jens schätzt, dass er bis 12 Uhr alles geschafft haben wird. Da verschätzt er sich, wie er später feststellen wird. Sein Zeitplan wird heute sabotiert werden.
17. November 2022, Tour 2
Jens fährt seit acht Jahren dieselbe Tour. Ein fester Fahrer hat Vorteile. „Manchmal ruft mich ein Kunde direkt an. Ich hab zig Handynummern“, berichtet Jens. Genau das passiert heute. 6:45 Uhr, das Handy klingelt. Ob er Ware zurücknehmen könne. Für den gleichen Kunden hat er ohnehin etwas geladen, also kein Problem. Das richtet Jens ein. So wird vieles direkt zwischen Kunde und Fahrer geregelt, ohne die Zentrale hinzuzuziehen. 7:02 Uhr. Während Jens die Ware übergibt, hat er ein Ohr für den Kunden. Diesmal: Feedback zu den Mehrwegbeuteln. Sekunden später, derselbe Kunde, anderer Ansprechpartner.
Er nimmt die Retoure entgegen. „Das läuft wie geschnitten Brot mit ihm“, sagt die Frau am Tresen.


7:17 Uhr: Sabotage. Das Rheinwasser linkerhand fließt schneller als der Verkehr vor Jens’ LKW Cockpit. Stau auf der B34 in Rheinfelden-Warmbach. Das Gute ist: Keine Terminlieferung mehr heute. Wehrmutstropfen: Jens wird später als geplant eine Frühstückspause einlegen und später Feierabend machen. Jens nimmt die Situation entspannt. Der LKW passiert eine Haltestelle, an der Schüler auf den Bus warten. Jens fährt beim nächsten Kunden vor, rangiert, wendet. Jeder Schritt ist choreographiert: das Platzieren des LKWs am Zielort, das Öffnen der Seitentür, die vorbereitete Warenbox greifen, Ware übergeben. Und weiter geht’s, vorbei an derselben Haltestelle, an der die Schüler noch immer warten. Das Ganze hat nicht länger als zwei Minuten gedauert.
Gleichzeitig scheint die übrige Arbeitswelt aufzuwachen. Läden werden geöffnet, Menschen besorgen sich ein schnelles Frühstück, fahren zur Arbeit. Da hat Jens schon über vier Stunden auf dem Zeitkonto und die halbe Ladefläche geleert.
Gegen Ende der Tour streckt sich die Fahrzeit zwischen den Halten. Ganz im Gegensatz zum Anfang als die Taktzahl noch hoch war. In Schopfheim beliefert Jens die letzten fünf Kunden, bevor er sich auf den Heimweg zurück ins Freiburger Zentrallager macht.
11:45 Uhr: Letzter Kunde. Gegen 13 Uhr ist Jens wieder im Lager. Der Arbeitstag ist damit noch nicht vorbei. Kisten, Mehrwegbeutel und Paletten müssen verstaut werden. Die Retourenware hat er versorgt, den Tourenplan abgegeben. 13:15 Uhr stempelt sich Jens aus und fährt nach Hause zu Frau und Kind. Nebenan in der Zentrale beenden Kollegen ihre Mittagspause.
Täglich zwei Stunden auf der Autobahn, einmal pro Monat im Stau
Jens fährt seit acht Jahren dieselbe Tour. Ein fester Fahrer hat Vorteile. „Manchmal ruft mich ein Kunde direkt an. Ich hab zig Handynummern“, berichtet Jens. Genau das passiert heute. 6:45 Uhr, das Handy klingelt. Ob er Ware zurücknehmen könne. Für den gleichen Kunden hat er ohnehin etwas geladen, also kein Problem. Das richtet Jens ein. So wird vieles direkt zwischen Kunde und Fahrer geregelt, ohne die Zentrale hinzuzuziehen. 7:02 Uhr. Während Jens die Ware übergibt, hat er ein Ohr für den Kunden. Diesmal: Feedback zu den Mehrwegbeuteln. Sekunden später, derselbe Kunde, anderer Ansprechpartner.
Er nimmt die Retoure entgegen. „Das läuft wie geschnitten Brot mit ihm“, sagt die Frau am Tresen.
