Daimler Truck AG und Alexander Bürkle testeten am 16.09.2024 den Prototypen des neuen Mercedes-Benz eACTROS 600 – Ein Bericht über seine Leistung, Wirtschaftlichkeit und die Chancen für den Transportsektor.
Bei diesem Projekt geht es nicht nur um den Wechsel von fossilen Brennstoffen auf batterieelektrische Energie. Es geht um die Zukunft in der Logistikbranche: Batterieelektrische LKW stehen für einen neuen Weg voranzukommen und heute schon auf das vorbereitet zu sein, was als Nächstes kommt. Im folgenden Interview geben unser Testfahrer, Philipp Wehrle, und der zuständige Verkaufsleiter Nutzfahrzeuge bei der Kestenholz-Gruppe, Thomas Wolff, Einblicke in ihre Erfahrungen bei der Testfahrt mit dem neuen Mercedes-Benz eACTROS 600.
Redaktion: Was war unser Testziel heute?
Philipp Wehrle: Unser Testziel war es, die Leistung und Effizienz des E-LKW umfassend zu bewerten. Wir haben insbesondere den Energieverbrauch, die Kapazität und die Reichweite des Fahrzeugs getestet. Dazu haben wir eine anspruchsvolle Fahrt auf den Feldberg unternommen, um den Energieverbrauch unter realistischen Bedingungen zu maximieren und die Fahrzeugleistung in bergigem Terrain zu prüfen.
Dabei wurde die Wendigkeit, der Antrieb, die Reichweite, der Verbrauch und die Ladezeit untersucht. Im Vergleich zu herkömmlichen LKW haben sich einige bemerkenswerte Unterschiede gezeigt: Der E-LKW bietet eine deutlich bessere Beschleunigung und eine ruhigere Fahrweise. Das Fahrzeug ist leiser und die Schaltung verläuft reibungslos, was den Fahrkomfort erhöht. Während der Fahrt kann der LKW im Rollen einfach weiterfahren und man muss nur bei Bedarf bremsen, was die Effizienz weiter steigert.
Redaktion: Wie weit kommt der E-LKW mit einer Ladung?
Phillip Wehrle: Der E-LKW hat eine Reichweite von bis zu 600 Kilometern mit einer vollen Ladung. Beim heutigen Test, der überwiegend in bergigem Gelände stattfand, wurden 150 Kilometer zurückgelegt, wobei die Reichweite von 600 Kilometern auf 430 Kilometer gesenkt wurde. Dies zeigt, wie der Energieverbrauch unter anspruchsvollen Bedingungen variieren kann.
Thomas Wolff: Insgesamt hat die Batterie des E-LKW eine Lebensdauer von bis zu 1,2 Millionen Kilometern, wobei Mercedes-Benz eine Garantie von 760.000 Kilometern bietet.
Redaktion: Was sind die technischen Besonderheiten des E-LKW?
Thomas Wolff: Eine der innovativsten Lösungen ist, dass das Modell ohne Kardanwelle auskommt, weil eine vollkommen neuentwickelte E-Achse mit integrierten E-Motoren und Getriebe zum Einsatz kommt. Dies hat Mercedes-Benz bisher als einziger Hersteller so umgesetzt. Dieser Ansatz schafft mehr Platz für zusätzliche Batterien, was wiederum die Reichweite des Fahrzeugs erhöht.
Eine weitere Besonderheit sind die verwendeten Eisen-Phosphat-Batterien, die gegenüber herkömmlichen Batterien langlebiger sind und auch bei hohen Temperaturunterschieden stabil bleiben. Bei diesem Fahrzeug beträgt die temperaturabhängige Reichweitenschwankung maximal 5 %, wodurch sämtliche Vorbehalte gegenüber der Batterie ausgeräumt werden. Im Vergleich dazu verlieren herkömmliche Lithium-Ionen-Batterien bei extremen Temperaturen (unter -20 Grad oder über 20 Grad) deutlich an Reichweite und müssen oft gekühlt werden. Zudem ist die Brandgefahr bei Lithium-Ionen-Batterien deutlich höher und im Notfall schwer zu löschen. Die Eisen-Phosphat-Batterien minimieren diese Brandgefahr erheblich.
Redaktion: Wie sieht es mit dem Komfort für den Fahrer aus? Gibt es Besonderheiten in der Innenausstattung, z. B. in Bezug auf Geräuschpegel, Klimatisierung oder Assistenzsysteme?
Philipp Wehrle: Besonders hervorzuheben ist das ruhige Fahrverhalten, da der LKW praktisch keine lauten Motorgeräusche erzeugt. Man hört fast nichts, was zu einer sehr leisen und angenehmen Laufruhe führt.
Das Bremsen erfolgt nahezu automatisch, da der E-Actros beim Bergabfahren wenig bremsen muss, da der Retarder, der zur Entlastung der Betriebsbremse dient, den Strom zurückgewinnt, der beim Bremsen verbraucht wurde. Während der Fahrt lässt sich der LKW leicht in Schwung bringen, um ihn dann effizient einfach weiterrollen zu lassen. Beim Rangieren zeigt der E-Actros seine Feinfühligkeit: Schon leichtes Gasgeben reicht aus, um die Geschwindigkeit zu regulieren. Dies ist besonders beim Manövrieren mit Anhängern ein großer Vorteil für den Fahrer.
Thomas Wolff: Ein weiteres technisches Highlight des E-Actros sind die Kameras, die die herkömmlichen Außenspiegel ersetzen. Diese Neuerung sorgt nicht nur für eine bessere Übersicht, sondern trägt auch zu erheblichen Einsparungen bei. Da es sich um einen Prototyp handelt, ist die Innenausstattung des Fahrzeugs noch nicht vollständig ausgebaut, jedoch bieten die Kameras bereits jetzt einen deutlichen Vorteil gegenüber traditionellen Systemen.
Redaktion: Warum ist der Einsatz von E-LKW für Alexander Bürkle von Interesse und welche Vorteile könnte es der Branche bringen?
Thomas Wolff: Die CO₂-Einsparung durch den Umstieg auf batterieelektrische LKW ist enorm. Während Diesel-LKW etwa 40-70 Cent pro Kilometer kosten, liegt der Energieaufwand für Elektro-LKW bei nur 25 Cent pro Kilometer. Ein Liter Diesel emittiert 2,63 kg CO₂, was die Dringlichkeit unterstreicht, auf Elektrofahrzeuge umzusteigen.
Die Tour heute auf den Feldberg verdeutlicht dies: Wenn ein Diesel-LKW 150 Kilometer fährt und dabei, auf dieser anspruchsvollen Strecke, rund 40 Liter Diesel verbraucht, werden etwa 105 kg CO₂ ausgestoßen. Im Vergleich dazu konnte der Mercedes-Benz eACTROS 600dieselbe Strecke emissionsfrei zurücklegen.
Die Zukunft der Transportlogistik liegt in innovativen, emissionsfreien Lösungen, die bis 2026 auch mautbefreit sind.
Aktueller Status des Mercedes-Benz eACTROS 600
Der Mercedes-Benz eACTROS 600 befindet sich derzeit in der Testphase als Prototyp und ist noch nicht serienreif. Dies ist die letzte Try-Out-Variante, die bereits jetzt an Kunden übergeben wird, um Vorbehalte abzubauen und zu zeigen, dass die Herstellerangaben eingehalten werden. Trotz des doppelt so hohen Anschaffungspreises im Vergleich zu konventionellen LKW zielt Mercedes-Benz darauf ab, den Kunden die tatsächliche Leistungsfähigkeit des Fahrzeugs zu beweisen.
Besonders hervorzuheben ist, dass über 80 % der Tagestouren weltweit weniger als 500 Kilometer betragen. Das bedeutet, dass ein Großteil der täglichen Fahrten problemlos mit elektrischen LKW wie dem Mercedes-Benz eACTROS 600 abgedeckt werden kann.
Der Mercedes-Benz eACTROS 600 wird dieses Jahr weltweit in einer limitierten Stückzahl von 63 Fahrzeugen auf den Markt gebracht. Davon werden vier Modelle nach Freiburg geliefert, die an ein Unternehmen in der Region gehen.